20.Juli 2019
Man soll im Leben das tun, wovor man am meisten Angst hat – diesen Spruch musste ich mir immer wieder vorsagen, als ich den Flug nach Peru buchte und ins Flugzeug stieg, denn noch nie habe ich allein eine so weite Reise gemacht – und dann erst noch, um auf einem fremden Kontinent einen Typen zu treffen, den ich nur aus dem Internet kenne! Aber bereits nach nicht mal einer Stunde war mir klar, dass ich am richtigen Ort bin.
Nicht mal die Dreckstadt Lima fand ich schlimm, sondern neu und aufregend, obwohl es dort neblig und kalt und außerdem chaotisch und stinkend ist. Aber wir konnten unsere Besorgungen – u.a. eine Solaranlage – schnell erledigen und sogar noch zweimal superlecker vegan essen gehen, und am nächsten Abend fuhren wir schon raus aus der 12-Millionen-Stadt. Nach einer kurzen Nacht in einem sehr einfachen «hostal» waren wir morgens früh um 5 unterwegs Richtung Berge, mit guter Musik, das Grau lichtete sich allmählich und die Sonne kam hervor! Und gegen Mittag waren wir auf der Passhöhe auf fast 5000 Meter über Meer – was für ein Wahnsinns Gefühl … die Höhe machte mir nichts aus, sondern ich empfand es sehr berauschend (was vielleicht auch an den Kokablättern lag ? ).
So wie ich als Schweizerin mit der Höhe keine Probleme habe, so schwer fassbar ist für mich, wie riesengroß dieses Land ist (dreimal so groß wie Deutschland). Von der Wüste rund um Lima und an der Küste fuhren wir durch das kalte, alpine Klima der Berge und am Nachmittag auf der anderen Seite der Sierra ins Tal hinunter, und mit jedem Kilometer wurde es wärmer und tropischer. Und nach der zwölfstündigen, im letzten Abschnitt auch ziemlich holprigen Fahrt kamen wir, gerade noch bevor es dunkel wurde, in der Selva Central an. ?
Und was soll ich sagen … das Grundstück ist nicht nur perfekt, sondern irgendwie magisch. Für mich fast unglaublich, dass es so etwas im 21. Jahrhundert noch gibt: einen Ort, wo du nachts tatsächlich nicht als die Geräusche der Natur und des Waldes hörst und wo die Luft klar, der Himmel frei von Kondensstreifen ist und die Sterne heller leuchten, als ich es jemals erlebt habe.
10 Tage bin ich jetzt schon in Peru, und es kommt mir gleichzeitig vor wie eine Ewigkeit und wie im Zeitraffer. Ich lebe so sehr im Augenblick wie noch nie zuvor, und das, obwohl wir hier etwas Großes für die Zukunft vor haben. Offenbar scheinen sich diese zwei Punkte nicht zwingend zu widersprechen.
Inzwischen schwinge ich die Machete (und komme mir dabei vor wie Michonne aus «The Walking Dead») … ich bin auf einer Planierraupe gesurft … ich habe gelernt, Kokosnüsse aufzuhacken … ich dusche im Wasserfall und schlafe unter freiem Himmel nur mit dem Licht der Sterne und des Mondes.
Und es gibt natürlich Momente, die mich körperlich und seelisch an mein Limit bringen: z.B. als wir den ganzen Morgen junge Bäume ausgegraben haben, um sie später umzupflanzen, weil das Gelände planiert wurde – oder die schlaflose Nacht, als es heftig zu regnen anfing und wir uns in die Hütte flüchten mussten, die alles andere als dicht ist und schon gar nicht bequem … und nach dieser schlaflosen Nacht blieb dann auch noch der Wagen stecken, weil der Mechaniker das Allrad nicht repariert hat und die Straße vom Regen noch schlechter war als sonst.
Auch der Bau der beiden Straßen auf das Grundstück hat sehr viel Nerven gekostet, denn es ist kein schöner Anblick, wie sich dieses Ungetüm von Maschine durch den Dschungel frisst (wir werden später neue Bäume pflanzen!!!), und den ganzen Tag hallte der Lärm durch den Wald. Aber dann erwartete uns am Abend des dritten Tages das absolute Highlight: die einfach unglaubliche Aussicht von der Bergspitze aus, fast 360° Grad Rundumsicht auf grüne Hügel unter blauem Himmel mit Schäfchenwolken.
Das alles kommt mir vor wie ein verrückter Traum, surreal und außergewöhnlich. Ich bin gespannt, was die Zukunft noch alles für Überraschungen bereit hält …
30.Juli 2019
Mit so vielen neuen, wundervollen Eindrücken vergeht meine Zeit hier in Peru wie im Flug … und mit jedem Tag bin ich noch mehr fasziniert von diesem Land: der großartigen Natur, den freundlichen, fröhlichen Menschen.
Inzwischen habe ich auch ein paar Tage allein verbracht auf der «Chakra», wie man hier so ein Grundstück nennt. Diese Zeit war wie ein kleines Retreat. Stundenlang tat ich nichts als in der Hängematte zu liegen, den Ausblick auf die wundervolle Landschaft und diese unglaubliche Ruhe zu genießen.
Letztes Mal habe ich geschrieben, dass ich gespannt bin darauf, was Peru noch für Überraschungen für mich bereit hält. Davon gab es viele: ein Ausflug zum Fluss, wo man herrlich schwimmen kann im erfrischenden, aber nicht zu kalten Wasser … dann immer wieder leckere, neue Früchte wie Guanabanas, Lucumas, verschiedene Avocado-Sorten, riesige Jackfruits … farbenprächtige Sonnenauf- und untergänge … Trips zu den zahlreichen Wasserfällen, die es hier in der Gegend gibt … eine abenteuerliche Fahrt «unsere» Straße ganz hoch bis auf den Gipfel auf 1200 m.ü.M., wo die Nativos leben … und dann auch weniger schöne Überraschungen wie zum Beispiel der heftige Dauerrecgen vor ein paar Tagen, der für diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich ist. Schickt mich auf einen Dreitagesmarsch durch die Wüste und ich werde nicht jammern, aber längere Zeit in der Nässe ohne einen trockenen, warmen Platz ist etwas, das mich wirklich fertig macht. Und ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe dies schon zu oft in meinem Leben erlebt! So hatte ich dann auch eine ziemliche Krise, als weder die Plane über meiner Hängematte noch das Zelt den Dauerregen abhalten konnten. Die Einheimischen meinen, solch ein Scheißwetter sei absolut unüblich für diese Jahreszeit – hier in Peru ist es ja jetzt Winter und es ist keine Regenzeit – und sie hätten so etwas noch nie erlebt. Unsere Erde ist leider wohl tatsächlich ziemlich im Arsch. Ich ergriff die Flucht aus dem durchnässten «Basecamp» und quartierte mich in Rio Negro in einem Hotel ein, um erstmal wieder warm und trocken zu werden. Apropos warm: warmes Wasser gibts in ganz Rio Negro nicht – aber ich war schon dankbar für die kalte Dusche! Elli, die an der selben Straße ein kleines Restaurant betreibt, umsorgte mich mütterlich mit heißer Gemüsesuppe und verabreichte mir noch eine bittere Kräutermedizin, und inzwischen geht es mir wieder gut und die Regenwolken haben sich verzogen.
Alles aufzuschreiben, was ich hier in Peru und in EDEN erlebe und was mich hierher geführt hat, würde ein ganzes Buch füllen – und das habe ich später auch vor, aber nicht jetzt. Jetzt lasse ich die Bilder sprechen …
4. August 2019
«Sometimes, Grace throws you and your world into the washing machine, full spin, so that the fearful and controlling tendency is compelled to offer itself to the Totality — to the will and dance of the Cosmos.»
Mooji
Peru scheint so ziemlich alles in diesen einen kurzen Monat reinzupacken für mich: Extreme Höhen und Tiefen, Glücksgefühle, Gefühlschaos und Prüfungen. Dass in diesem Land besonders starke Energien am Werk sind, kann ich definitiv bestätigen. Und ich weiß, wovon ich spreche, lebe ich doch an einem ebenfalls energetisch sehr hoch schwingenden Ort, beim Monte Verità im Tessin (der übrigens über die Ley-Linien u.a. mit Macchu Picchu verbunden ist). Doch dass es so heftig werden würde, habe ich echt unterschätzt. Mich holten hier Dinge aus meiner wilden, bewegten Vergangenheit ein, von denen ich dachte, ich hätte sie schon längst hinter mir gelassen und überwunden – Ha ha, Fehlanzeige! Von Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen über Wutanfälle (ich habe nach einer weiteren schlaflosen Nacht im strömenden Regen mit der Machete das Zelt zerlegt, weil es nicht dicht war ?) war alles dabei, das volle Programm, bis hin zu dem Déja-Vu, jemanden den ich liebe, von einer Sekunde auf die andere verlieren zu können!
Als vor 4 Jahren mein Mann Ingo starb, dachte ich, mein Leben ist gelaufen, das war’s. Und auf eine Art stimmt das auch, denn seit seinem Tod führte mich alles einzig auf ein Ziel hin: Aufzuwachen – mich endgültig aus dem ganzen Ego-Mind zu befreien hin zu der Einheit, die wir alle SIND. Ich wollte eigentlich nichts mehr tun, außer möglichst viele Satsangs und Retreats besuchen, um dieses Ziel zu erreichen. Im Juni war ich bei Mooji in Lissabon und danach dachte ich: Eigentlich sollte ich besser, statt nach Peru zu fliegen, diesen Prozess des Erwachens weiter verfolgen, noch mehr Retretas machen, in Moojis Ashram Monte Sahaja gehen. Doch da waren all diese «Zufälle», die mich nach Peru geführt haben … und jetzt bin ich hier und der Prozess hat sich rasant beschleunigt (was übrigens nicht immer angenehm ist, sondern sehr schmerzhaft)!
Die Nicole, die Anfangs Juli nach Peru geflogen ist, gibt es nicht mehr. Es ist eine vollkommen andere, die in wenigen Tagen zurück nach Zürich fliegt, und sie heißt EVA (mein 2. Vorname und der Name meiner Mutter).
Ich weiß, das ist etwas ganz, ganz Großes was jetzt beginnt, etwas vollkommen anderes als alles, was man aus dem «normalen» Leben kennt.