Dass ich mit meiner Sehnsucht, aus den Zwängen einer kranken Gesellschaft auszubrechen und einen Weg zurück zur Natur zu finden, nicht allein bin, erkannte ich auf dem Berg der Wahrheit. Auch wenn ich als Kind noch nicht den ganzen Hintergrund verstand, war ich fasziniert von diesem magischen Ort: Monte Verità in Ascona. Schon von klein auf fühlte ich mich in diesem »seltsamsten Dorf der Welt«, wo wir bei meinen Großeltern immer die Ferien verbrachten, mehr zuhause als im kalten, grauen Zürich und seiner nach Gülle miefenden ländlichen Agglomeration. Vor über hundert Jahren versuchten dort eine Handvoll Menschen barfuß, in weißen wallenden Gewändern oder sogar nackt, in wilder Ehe und Früchte essend ihre Vision des »wahren Lebens« zu verwirklichen und legten mit ihren revolutionären Konzepten unter anderem das Fundament für die heutige Ökologiebewegung, den Veganismus oder die Gleichstellung der Frau. Sie sind längst verschwunden, Ascona zum Touristenort verkommen, doch es ist immer mein Utopia, mein Ort der Kraft geblieben. Ja, wenn ich heute zurückschaue, ist es der einzige Fixpunkt in meinem Leben.

Der Monte Verità hat nie aufgehört zu mir zu sprechen, hat immer mit verschiedenen Stimmen, mit seiner Weisheit auf meine vielen Fragen geantwortet, und er war immer da als Anlaufstelle für meine Ängste und Utopien. Jetzt hat sich der Kreis geschlossen. Ich bin am Ende angelangt, und dieses Ende ist zugleich ein Anfang.

Der Monte Verità ist überall, in mir.

Aber immer noch stelle ich mir gerne vor, wie vor 100 Jahren die ersten Veganer auf ihrem Berg nach einem besseren Leben gesucht haben … und meine Vision ist, dass diese Lebensart in nicht allzu ferner Zukunft das ersetzen wird, was wir heute als »normal« bezeichnen und was in Wahrheit so abartig ist. Denn inzwischen sind es nicht mehr nur ein paar einzelne Verrückte, Idealisten und Pioniere, die diese Philosophie leben. Immer mehr Menschen wachen auf, stellen unsere auf Leid, Ausbeutung und Konsumwahn aufgebaute Gesellschaft in Frage und suchen nach Auswegen. Es gibt sie. Es gibt eine andere, harmonischere Art zu leben – ganz im Geiste der Gemeinschaft des Monte Verità:

Einen Ort, an dem du wirklich du selbst sein kannst, an dem dich niemand für verrückt erklärt, weil du sensibler bist als andere oder weil du in dieser Gesellschaft nicht funktionierst … Einen Ort, wo die Natur noch intakt ist, wo kein Tier gequält und eingesperrt wird für seine Milch und schon gar nicht getötet für sein Fleisch … Einen Ort, wo es Früchte im Überfluss gibt, aber keinen Junkfood, so dass du ganz automatisch wieder Freude daran bekommst, natürliche, wirkliche Nahrung zu essen anstelle von auf Tod und Leid basierenden Industrieprodukten, und dadurch nicht nur gesund wirst, sondern auch frei von Süchten, Ängsten und Depressionen … Einen Ort der Zuflucht, der ein paradiesischer Garten ist, mit einer Gemeinschaft, die dir hilft, Kraft und Sicherheit zu schöpfen für den Rest der Welt … Einen Ort des wahren Lebens.

Ich werde Menschen finden, die die selbe Vision haben, oder sie werden mich finden, und wir werden versuchen, sie wahr zu machen, irgendwo an einem schönen Platz auf dieser Welt. Klar, vielleicht ist das bloß eine weitere Utopie einer weiteren Spinnerin. Aber wenn mir heute jemand sagt, ich sei verrückt, dann weiß ich, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde.

Diesen Text habe ich vor mehr als drei Jahren geschrieben. Und es wurde wahr!

Am 10. Juli 2019 reiste ich nach Peru, in die Selva Central …

Fortsetzung folgt …