Dass ich Indien liebe, weiß ich schon seit meiner frühesten Kindheit. Damals hatte ich einen ganz tollen Yogalehrer, der vielleicht diese Liebe geweckt hat, als er von seinen Indienreisen schwärmte. In meiner Hippie-Zeit als Teenager kleidete ich mich indisch, mit Pluderhosen, OM-Zeichen überall und klimpernden Fußkettchen, doch für eine Indienreise, wie sie so viele meiner Freunde unternahmen, hat es bei mir nie gereicht. Vor drei Jahren, während der wohl schwierigsten Zeit meines ganzen Lebens, wusste ich, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, alles daran zu setzen, dieser Sehnsucht endlich nachzugehen und nach Indien zu reisen. Und als es mir nun möglich war, freute ich mich wie ein kleines Kind … und ich wurde nicht enttäuscht: Indien war einfach wundervoll! Natürlich steht es mir nicht zu, nach einem einzigen Aufenthalt von bloß einem Monat zu behaupten, dieses unglaubliche Land zu kennen. Ich poste auch keine Indien-Reisetipps, die findet man auf zahlreichen Reiseblogs. Dies ist einzig und allein ein sehr persönliches Fazit – und eine Liebeserklärung.

Das Essen <3

Dies ist keine neue, sondern eine alte Liebesgeschichte; da ich das Indische Essen schon lange kenne und liebe. Diese Liebe hat sich aber definitiv noch vertieft, vor allem, da es bis auf eine einzige Ausnahme, wo ich Paneer-Stücke aus dem Curry picken musste, absolut kein Problem war, veganes Essen zu bekommen. (Tipp: «Pure Vegetarian, no milk» verstehen sie besser als «Vegan»! ;-) Die meisten vegetarischen Gerichte sind an sich schon vegan, wenn man vom Ghee absieht – und das tat ich, da darin weder Laktose noch Milcheiweiß oder Cholesterin enthalten ist. Ich konnte viel Ideen und Inspiration sammeln für mein nächstes Rezeptbuch und brenne darauf, auszuprobieren, was ich bei unserer indischen Family und bei den tollen Kochdemonstrationen im Spice Village aufgeschnappt habe. Am Ende dieses Monats freute ich mich aber dennoch, zuhause wieder Pasta, Kartoffeln und vor allem viel viel viel grünen SALAT zu essen!

Die Tiere <3

Die Kühe sind Indiens Markenzeichen und es ist wirklich ein außergewöhnliches Bild, sie überall völlig entspannt frei herumlaufen zu sehen, auch mitten in der Großstadt. Diese Tiere sind in Indien sicher glücklicher und gesünder als in der Schweiz, wo sie mit ihren riesigen Eutern kaum laufen können. Ansonsten ist Indien jedoch ganz bestimmt kein Land für zart bestaitete Tierliebhaber. Straßenhunde gibt es überall und darunter hat es auch einige, deren Fell von Räude überzogen ist und denen vom Kämpfen ganze Stücke ihrer schönen großen Ohren fehlen. Ihr Leben ist sicher nicht leicht. Wenn ich aber eine Hundefamilie sehe, die morgens halb im Sand eingegraben am Strand schläft, oder ein Rudel, das an einem riesigen Haufen Eingeweide zerrt, den die Mönche beim Tempel ihnen hingeworfen haben – dann frage ich mich, ob dieses Leben  wirklich schlechter ist, als in einer sterilen Wohnung zu leben, tagein tagaus die selben industriell gefertigten Bröckchen aus der Tüte zu fressen und dreimal täglich für eine Viertelstunde an der Leine um den Block zu laufen. Das ist sicher überspitzt formuliert, aber in Erinnerung an Muna, meine so freiheitsliebende Afghanin, weiß ich genau, welches Leben sie vorgezogen hätte, auch wenn es kurz und gefährlich ist. Priya vom WIDE Children‘s Home kümmert sich übrigens genauso warmherzig um die Straßenhunde wie um die Waisenkinder, und Spenden werden auch für die Tiere dringend benötigt!

Die Wackeldackel <3

Das Leben der meisten Inder ist sicher härter als das von uns Westlern, sie besitzen weniger, aber sie sind zufriedener und fröhlicher. Und in mancher Hinsicht freier: zum Beispiel haben sie mehr Zeit und man sieht selten jemanden mit gestresstem Gesicht durch die Straßen hetzen wie in Zürich. Während meiner ganzen Reise bin ich kaum einem unfreundlichen Menschen begegnet.

Was mich immer wieder einfach glücklich macht, wenn ich es sehe, ist das typische Kopfwackeln der Inder. Ich hatte darüber schon so einiges gelesen, z.B. in «Shantaram», einem meiner Lieblingsbücher, aber man muss es gesehen haben! Es soll ein Nicken sein, erinnert mich aber jedes Mal an diese Wackeldackel, die hinten auf der Hutablage im Auto plaziert werden. Ich weiß nicht warum, es zu sehen bereitet mir einfach Freude, es verbreitet ein warmes Gefühl! Nebenbei bemerkt: «Nein» gibt es bei den Indern höchst selten. Stattdessen sagen sie dann gerne: «I will arrange it» – was alles oder nichts bedeuten kann. Und wackeln dabei mit dem Kopf.

Das Plastik- und Rauchverbot <3

Indien sei schmutzig, sagen viele ganz entsetzt. Das ist nicht zu leugnen, und wer ein Problem mit schmutzigen Toiletten hat, der hat in Indien tatsächlich ein massives Problem. Ich bin abgehärtet durch das Italien der 70er und 80er Jahre, wo ich als Kind immer die Ferien verbrachte und wo damals die selben Zustände herrschten. Dass Indien aber im Gegensatz zur ach so sauberen Schweiz bereits vor Jahren ein Plastik-Verbot verhängte, das sich auf immer mehr Bundesstaaten ausweitet und das dank den massiven Geldbußen auch eingehalten wird, ist genauso fortschrittlich wie, dass das Rauchen überall in der Öffentlichkeit verboten ist und man deshalb keine ekligen Zigarettenstummel rumliegen sieht!

Die Verschmutzung des Meeres hingegen hat mich erschreckt und abgestoßen, der Strand in Varkala ist von angeschwemmtem Abfall übersät und auch viele tote Fische liegen dort. Aber ob das alles auf das Konto der Inder geht, bezweifle ich – leider sehen die Ozeane auf der ganzen Welt immer schlimmer aus.

Die rauen Kanten <3

«A little bit rough on the edges» – So bezeichneten Lorna und Fred, ein sehr sympathisches britisches Pärchen, die wir in Kerala kennenlernten, unser Hotel – und ich finde, diese Bezeichnung lässt sich auf ganz vieles in Indien anwenden. Denn vieles ist auf den ersten Blick schön, hat aber auf den zweiten Blick raue Kanten, ist leicht runtergekommen und vergammelt. Der Zerfall lauert überall versteckt unter einer sehr dünnen Oberfläche. Er wartet auf die geringste Unachtsamkeit, die er ausnützen kann, um seine Krallen auszustrecken und sich rasant weiter zu verbreiten, wobei er sich mit dem feuchten Klima verbündet, das ihm in die Hände spielt. Und Unachtsamkeiten gibt es viele, denn die Inder sind nachlässig. So hängen auch in unserem Hotel im Restaurant die Tischtücher alle schief, die frisch gewaschene Bett-, Tisch- und Frotteewäsche ist nicht weiß sondern fleckig, und in den doch sehr teuren Zimmern ist der Zerfall an allen Ecken und Enden sichtbar. Sugil, der eitle, bärtige Kellner, der Mr India werden will, ist freundlich und fröhlich, aber hoffnungslos überfordert – er hat seine liebe Mühe, den Gästen die Flüssigkeiten nicht über die Hose zu schütten wenn er serviert (und mehr als einmal passiert es doch); davon, die Bestellungen im Kopf zu behalten ganz zu schweigen. Für Selfies posieren hingegen beherrscht er meisterhaft.

Die mit gelb-orangen Tagetesblüten gefüllten Wasserschalen sind hübsch anzusehen, aber jemand muss das pflegen, sonst wird es innert wenigen Tagen zu einer braunen Brühe, aus der dann noch der Hund trinkt. Die Raben klauen morgens die Butterportionen vom Buffet, fliegen damit in die Bäume oder auf die Balkone, wo sie sie öffnen und auslecken, und die leeren Päckchen liegen dann überall rum, ohne dass sie jemand wegräumt. Die Putzfrauen verstehen unter «Putzen» vor allem, den ganzen Badezimmerboden so nass zu machen, dass er bis am nächsten Tag nicht trocknet. Die Architektur des Hotels ist spektakulär, aber das oberste Stockwerk wurde gar nie ganz fertiggestellt und dort ragen die Armierungseisen wie Gerippe aus den halbfertigen Betonpfeilern – während unten in den Zimmern der Teppich bereits Moos ansetzt und schon wieder eine Renovation nötig wäre. Der runde Pool ist aus schönen Mosaikfliesen – von denen aber ein Viertel fehlt. Diese entdeckt man dann, wenn man den Fußweg zum Meer runter geht, sie wurden nämlich da runter gespült, liegen jetzt dort rum und verschandeln die Natur. Allgemein gesprochen hatte ich den Eindruck, dass ganz Indien von einer leichten Patina überzogen ist – einer Patina aus Stromkabel-Gewirr, Abgasen und anderen hässlichen Auswürfen, die das 20. und 21. Jahrhundert hervorbringt – und diese Patina überzieht sämtliche schönen Dinge: die Natur, die Tempel und die Gebäude. Da ich eine Affinität zu Lost Places besitze, kam ich voll auf meine Kosten.

Gibt es etwas, das ich an Indien hasse?

Das mich davon abhalten würde, wiederzukommen? Ich werde bei meiner nächsten Indienreise sicher nicht mehr die selben Orte bereisen (groß genug ist das Land ja), und weniger touristische Locations aussuchen als Varkala. In Tiruvannamalai waren Lea und ich praktisch die einzigen Weißen und wir wurden kein einziges Mal unfreundlich oder belästigend angesprochen, außer von den Bettlerinnen, als wir den Fehler machten, der Einen zu offen sichtbar etwas zu geben, so dass dann zehn Andere auch etwas wollten. Aber das fordernde «Madam, come in my shop» an jeder Ecke auf dem Northcliff in Varkala, das dann auch in unschöne (für uns zum Glück unverständliche) Worte umschlägt, wenn man der Aufforderung nicht nachkommt, ging mir ganz schön auf den Geist. Obwohl mir alle Reisenden versicherten, das sei noch gar nichts und es wäre an anderen Orten noch viel penetranter. Dass die nicht begreifen, dass sie die Käufer so eher abschrecken? Überhaupt hasse ich es, als «Madam» angesprochen zu werden, da fühle ich mich dann immer ganz alt! Leider ist dies aber die gängige Höflichkeitsform.

Der Lärm :/

Indien lebt irgendwie vierundzwanzig Stunden pro Tag, nie ist es wirklich ruhig. Die Geräusche der Nacht gehen nahtlos in die Geräusche des frühen Morgens über. Es sind für uns fremde Geräusche: die Muezzins, die von ihren Moschee-Türmen rufen – ganze Rudel von bellenden Hunden – seltsame Vögel, die nicht melodisch zwitschern, sondern gurren und krähen, zusammen mit den Geckos, die keckern. Dafür ist die fremdartige Musik um so melodischer und sie spielen sie überall und immer sehr laut, genauso wie sie sich auch in ihren Singsang-Sprachen zu jeder Tages- und Nachtzeit lautstark unterhalten. Das viele Hupen natürlich nicht zu vergessen, doch dieses hat System: zweimal kurz hupen heißt «pass auf, ich überhole», während einmal lang hupen Ausdruck von Unmut ist. «Sound Horn» ist sogar explizit hinten an den langsameren Fahrzeugen wie Lastern und Rickschas angeschrieben. Mit diesem allgegenwärtigen Lärm hatte ich nie ein Problem, seltsamerweise schlief ich immer und überall viel tiefer und fester als zu Hause, vielleicht wegen der durch die vielen Eindrücke bedingten Müdigkeit.

Die künstliche Kälte :(

Über das Klima möchte ich nicht viele Worte verlieren, da ich die Hitze liebe und Gejammer darüber von Touristen mir auf die Nerven geht. Etwas, das ich aber wirklich zutiefst hasse (nicht nur an Indien, sondern auch an Thailand), sind die Klimaanlagen. Wenn ich extra, um nicht frieren zu müssen, aus der Schweiz fliehe, will ich bestimmt nicht im Auto und in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden Temperaturen haben wie auf dem Jungfraujoch mitten im Januar, und das erst noch leicht bekleidet! Ich bekomme davon Hals- und Ohrenschmerzen, aber seit meinem ersten Kontakt vor 4 Jahren mit dieser widerlichen künstlichen Kaltluft habe ich für solche Fälle ein warmes Tuch, eine Fleecejacke und Socken dabei. Und dem Fahrer haben wir jeweils kurzerhand verboten, das Scheißding anzuschalten, auch wenn er sich dann demonstrativ ständig Schweißtropfen von der Stirn tupfte. Ventilatoren finde ich fast genauso schlimm, und auch von diesen wird leider überall reger Gebrauch gemacht, natürlich immer auf allerhöchster Stufe. Aber ich habe schnell gelernt, wo sich die Schalter befinden! :P

Leider hat es mich dann dank Ventilatoren und dem kühlen Klima in den Westghats auf 900 m.ü.M., das ich völlig unterschätzt habe, doch erwischt und ich habe mich böse erkältet. Krank sein in Indien macht auch absolut keinen Spaß! Aber das macht es wohl nirgends. Wenn es aber im Bungalow noch kalt und klamm ist und es natürlich keine Heizung gibt, ist es besonders übel. Ich bekam vom sehr mitfühlenden Hotelpersonal eine extra Decke und eine Bettflasche, und war dann echt froh, die Hügel Richtung Kerala verlassen zu können. Dort unten wurde es aber zuerst noch schlimmer, ich hatte fürchterliche Halsschmerzen und musste die Hilfe des Ayurveda-Docs in Anspruch nehmen. Der hat sich mein Gejammer angehört, meinen Puls gefühlt, mir in den Hals geleuchtet, meine Brust abgehört und mir dann verschiedene Medis gegeben: einen Saft, 2 Sorten Pillen und Hals-Lutschtabletten auf indisch; kleine Krümelchen, die wie Hasch-Pieces aussehen und aus verschiedenen scharfen Gewürzen bestehen, darunter auch 3 verschiedene Pfeffer (es gibt nämlich einen medizinischen Pfeffer, das haben wir bei Mr Abraham gelernt). Die lutschte ich die nächsten Tage alle halbe Stunde und sie linderten wirklich.

«Krank werden auf der ersten Indienreise gehört zum Reinigungsprozess», meine eine andere, sehr Indien-erfahrene Freundin, der ich via Whatsapp mein Leid klagte. Das mag auf der seelischen Ebene zutreffen; auf der körperlichen war es wohl eher auf das zu üppige und zu späte Essen zurückzuführen, das einfach zu viel für meinen Körper war, so dass er den herumfliegenden, unbekannten Viren nicht genug entgegensetzen konnte.

Das Yoga :o

Eine Hassliebe – denn ich habe seit damals in meiner Kindheit keine Yogastunde mehr gehabt und höchstens sporadisch mit Büchern und Videos geübt, und da ich nicht mehr so beweglich bin wie mit sechs, fand ich die Übungen verdammt hart! Und wenn der Lehrer dann auch noch gnadenlos Anfängern wie mir fortgeschrittene Positionen abverlangt, ist nicht nur Muskelkater vorprogrammiert, sondern auch ziemlich unelegante Anblicke, zum Beispiel wenn ich beim Schulterstand zusammenkrache. Aber trotzdem zog es mich jeden Abend um 18:00 wieder auf das Hoteldach in die Yogastunde. Denn Pramud, unser Yogalehrer, ist einfach wundervoll! Ein kleiner Wurzelzwerg mit lockigem Haar und Bart, der die Anweisungen nicht spricht, sondern regelrecht singt und immer positiv und fröhlich ist. Abgesehen vom Schulterstand, den ich dann einfach auslasse, sind die anderen Asanas (Yogapositionen) und Pranayama (Atemübungen) wohltuend und so entspannend, dass ich mehr als einmal am Ende der Stunde auf dem Mätteli einschlafe. Und wie er das OM singt! Das gibt einfach ein warmes Gefühl im Herzen und öffnet alles weit. Das Yoga möchte ich unbedingt zu Hause weiter praktizieren und in meine Trainingsroutine einbauen. Pramuds wundervolle Stimme gehört zu meinen schönsten Indien-Erinnerungen, und ich nehme einen kleinen Teil davon sogar mit nach Hause, denn wir durften eine seiner Stunden aufnehmen. Überflüssig zu erwähnen, dass wir nicht die ersten sind, die ihn darum gebeten haben.

 

Die Souvenirs <3

Mein Koffer platzt aus allen Nähten von schönen Kurtas, Dhotis (das sind die Tücher, die die indischen Männer unten herum tragen; etwas was mir auch ganz besonders gefällt, vor allem wenn sie es mit einem modischen westlichen Hemd kombinieren ;-), Malas, Klimperschmuck und Gewürzen. Der Speicher meiner Kamera und meines iPads ist prall gefüllt mit Fotos; Indien fand ich nicht so sehr landschaftlich reizvoll, und die Architektur ist halt eben «a little bit rough on the edges» – aber die Schönheit der Menschen übertrifft alles!

Doch das Kostbarste, was ich aus Indien mitnehme, ist nicht greifbar: Es ist dieses warme Gefühl, wenn das Herz weit offen und der Verstand ruhig ist. Besonders stark spürte ich dies im Ramanashram in der Meditationshalle, mitten in der Menschenmenge bei der Umrundung des heiligen Berges Arunachala, in der kühlen Weite im Minakshi-Tempel – auch beim gemeinsamen Essen mit unserer indischen Family oder nach einer anstrengenden, aber wohltuenden Yogastunde. Es ist ein Gefühl der Verbundenheit mit Allem, und vermutlich ist es das, was viele Westler trotz Schmutz, Lärm und mannigfaltigen Unbequemlichkeiten immer wieder nach Indien zieht. Mich jedenfalls ganz bestimmt …